«Wir wurden unser ganzes Leben lang belogen», entsetzt sich ein User auf Tiktok. «Mir wurden die Augen geöffnet», offenbart ein anderer. «Jeder sollte das lesen», fordert ein dritter. «Es erklärt so viel.»

Was hat die Tiktok-Community dermassen aufgeweckt? Ist ihnen der Messias erschienen?

Buchstäblich. In Person von Osama Bin Laden (1957–2011), dem Kopf des Terrornetzwerks al-Qaida und Spiritus Rector von 9/11, dem brutalsten Terroranschlag der jüngeren Geschichte.

Als letzte Woche eine Userin auf Tiktok Osama Bin Ladens «Brief an Amerika» aus dem Jahr 2002 aufschaltete, löste sie damit einen viralen Sturm aus.

In seiner Apologie für die Ermordung von rund 3000 zivilen Opfern stellt Bin Laden die USA an den Pranger. Sie hätten zur Errichtung und Unterstützung eines jüdischen Staates in den palästinensischen Gebieten beigetragen. Dies sei «eines der grössten Verbrechen» überhaupt. Dafür fordert er Rache und Blut. «Jeder Einzelne, dessen Hände durch den Beitrag zu diesem Verbrechen beschmutzt wurden, muss den Preis dafür zahlen, und zwar schwer.»

Aus dem historischen Kontext gerissen und vor der aktuellen Bilderflut aus Gaza zeigt sich die sogenannte Generation Z beeindruckt. Es sind jene jungen Menschen also, die kaum oder noch nicht geboren waren, als al-Qaida den grössten Terrorangriff auf die USA ausführte.

Dass Bin Laden fordert, «Israel muss ausgelöscht werden», scheint die Tiktok-Jugend nicht zu stören. Ebenso wenig, dass der Brief eine Ansammlung von klassischen antisemitischen Stereotypen ventiliert wie «die Juden, die eure Politik, Medien und Wirtschaft kontrollieren». Dass Bin Laden in dem Brief Homosexuelle als Sünde darstellt, die Allahs Strafe mit aller Härte treffen würden, haben die woken Bewegten überlesen.

Wer denkt, die von Osama «Erleuchteten» seien eine kleine Minderheit, täuscht sich, wie Studien aus den USA belegen.

Gemäss einer Umfrage von Harvard/Harris glauben 51 Prozent der Amerikaner zwischen 18 und 24 Jahren, dass der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober, dem verheerendsten Pogrom gegen jüdisches Leben seit dem Holocaust, gerechtfertigt war.

Wer sich fragt, warum die Jugend der Hamas die Propaganda aus der Hand frisst, muss sich den sozialen Medien zuwenden, wo Videos, Bilder und Soundbites ungeprüft, oft manipuliert oder gefälscht wie Unkraut aus der Jauche schiessen.

Kein Zufall, dass der Bin-Laden-Brief auf Tiktok verbreitet wurde.

Tiktok ist Social-Media-Favorit unter Jungen.

Tiktok ist die wichtigste Suchmaschine für mehr als die Hälfte der «Gen Z».

Sechs von zehn Amerikanern sind vor ihrem 17. Geburtstag von Tiktok angefixt.

Tiktok stammt aus China und wird von der Kommunistischen Partei Chinas kontrolliert. Die Muttergesellschaft heisst Bytedance. Chefredakteur von Bytedance ist Zhang Fuping, er ist auch der Chef der firmeninternen Zelle der Kommunistischen Partei.

In China gibt es übrigens eine entschärfte Version von Tiktok namens Douyin. Hauptinhalte dort sind pädagogische Themen, Wissenschaft und Denksport. Ausserdem ist ihre Nutzung auf vierzig Minuten pro Tag begrenzt.

«In Amerika ist der Algorithmus der Anwendung (von Tiktok) genau darauf abgestimmt, polarisierende Empörung und süchtig machenden, hirnverbrannten Unsinn (im besten Fall) und gefährliche Propaganda (im schlimmsten Fall) zu priorisieren», schreibt Mike Gallagher, Vorsitzender des Sonderausschusses des US-Repräsentantenhauses für China.

«Anders ausgedrückt: Bytedance und die Kommunistische Partei Chinas haben beschlossen, dass Chinas Kinder Spinat bekommen und Amerikas Kinder digitales Fentanyl.»